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11.01.2017 Experimentelle Anästhesiologie

Möglicher Mechanismus zur Steigerung der Opioid-Effektivität entdeckt

Schmerztherapie-Forschung 

Prof. Hucho entdeckt möglichen Mechanismus zur Steigerung der Opioid-Effektivität
Prof. Dr. Tim Hucho, Klinik für Anästhesiologie und Operativen Intensivmedizin, Bildrechte: Uniklinik Köln

Opioide sind nach wie vor der Standard in der Schmerztherapie. Aber: Sie haben starke Nebenwirkungen und ihre Wirkung lässt rasch nach. Seit geraumer Zeit suchen Forscher nach einer Möglichkeit, dies zu ändern. Kölner Wissenschaftler rund um Prof. Dr. Tim Hucho, Klinik für Anästhesiologie und Operativen Intensivmedizin an der Uniklinik Köln, haben nun gemeinsam mit Forschern aus Großbritannien den Ionenkanal Nav1.7 und seine Rolle bei der Schmerzentstehung und -regulierung untersucht. Ihre Ergebnisse wurden jetzt (10.01.2017) im renommierten Wissenschaftsjournal Science Signaling veröffentlicht.

Es gibt Menschen, bei denen fehlt ein spezieller Ionenkanal – er hat den Namen Nav1.7. Diese Menschen sind ein Leben lang schmerzfrei. Trotzdem führt das Blockieren dieses Kanals allein nicht zur Schmerzlinderung. Allerdings konnte kürzlich bei solchen Menschen die verstärkte Produktion eines körpereigenen Opioids (Proenkephalin) nachgewiesen werden. Durch die Gabe eines Opioidblockers konnte das Schmerzempfinden wieder hergestellt werden.

Diese Ergebnisse werfen eine Reihe von Fragen auf: Reguliert der Kanal Nav1.7 nicht nur die Opioidproduktion sondern verstärkt auch seine Wirkung? Oder führt die lebenslange Überproduktion von körpereigenen Opioiden in den schmerzsensorischen Nervenzellen auch zur Desensitivierung wie nach medikamentöser Opioidgabe? Und schließlich: Reguliert Nav1.7 nicht nur die schmerzreduzierenden Opioidsignale sondern auch seine Gegenspieler wie schmerzverstärkende Serotoninsignale?

Wissenschaftler unter der Leitung von Prof. Hucho haben mit einem neuentwickelten Verfahren das Tauziehen von schmerzsteigerndem Serotonin und schmerzlindernden Opioiden in schmerzsensorischen Neuronen untersucht. Überraschender Weise fanden sie, dass in Organismen ohne den Nav1.7-Kanal die Serotoninwirkung nicht verstärkt sondern stark reduziert war. Dies kam einerseits dadurch, dass einer der Serotoninrezeptoren, der 5-HT4 Rezeptor, weniger stark produziert wurde. Andererseits wurde ein Bindeglied zwischen dem Serotoninrezeptor und seinen zellulären Schmerzmechanismen, die RIIb-PKA-Isoform, reduziert. Außerdem war die Opioidwirkung in Zellen dieser Organismen deutlich verstärkt. Während Serotoninschmerzsignale in Nervenzellen normalerweise zu rund 50 Prozent blockiert werden können, erfolgte die Blockade in Zellen von Nav1.7-defizienten Modellorganismen zu über 80 Prozent. Die Blockadewirkung von Opioiden auf schmerzrelevante Kanäle und die sogenannten tetrodotoxin-resistenten Ströme war in Nav1.7-defizienten Neuronen sogar insgesamt verdoppelt.

„Unsere Ergebnisse zeigen erstmalig, dass Nav1.7 langanhaltend die intrazelluläre Signalverarbeitung von schmerzregulierenden Signalen verändern kann. Überraschend hierbei ist, dass die Veränderungen sich nicht entgegengesetzt sind. Stattdessen unterstützen sie sich. Damit wird das Ergebnis des Tauziehens von schmerzlindernden und schmerzverstärkenden Signalen insgesamt in Richtung Schmerzreduktion verschoben. Anstelle einzelne Mechanismen mit einem Medikament zu blockieren, könnten so ggf. übergeordnete Regelkreise adressiert werden, die dann ihrerseits mehrere Schmerzmechanismen aufeinander abgestimmt verändern. Die Regulation dieser sog. „Homöostasemechanismen“ könnte ein neuer Wirkmechanismus von Schmerzmedikamenten sein“, so Prof. Hucho.

Diese Ergebnisse werfen ein neues Licht auf vorangegangene Versuche, Blocker von Nav1.7 als Schmerzmittel einzusetzen. Obwohl von einer Vielzahl von akademischen und industriellen Forschern versucht, hatte allein die Blockade bislang keine deutliche Schmerzlinderung bewirkt. Die zellulären grundlagenwissenschaftlichen Ergebnisse der Kölner Wissenschaftler um Prof. Hucho könnten daher darauf hindeuten, dass diese Blocker nicht alleine schmerzreduzierend wirken, sondern vor allem die Effektivität einer begleitenden Opioidtherapie verstärken. Im Anschluss an diese Ergebnisse gilt es nun zu untersuchen, unter welchen Bedingungen diese zellulären Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sein könnten.



Originalpublikation
Synergistic regulation of serotonin and opioid signaling contributes to pain insensitivity in Nav1.7 knockout mice
Jörg Isensee, Leonhardt Krahé, Katharina Moeller, Vanessa Pereira, Jane E. Sexton, Xiaohui Sun, Edward Emery, John N. Wood and Tim Hucho, Sci. Signal.  10 Jan 2017: Vol. 10, Issue 461, DOI: 10.1126/scisignal.aah4874