Das Nationale Pandemie Kohorten Netz (NAPKON) hat Deutschlands größte Forschungs-infrastruktur zu COVID-19 etabliert. In einer breiten Kooperation von Unikliniken, Kliniken und Arztpraxen wurden Daten und Bioproben von bislang mehr als 7.000 Patientinnen und Patienten gesammelt. Diese helfen Wissenschaftlern dabei, zahlreiche Forschungsfragen zum Post-COVID-Syndrom, auch bekannt als “Long COVID”, zu beantworten. Untersucht werden neurologische, immunologische, genetische, psychische und molekulare Faktoren. Erste relevante Ergebnisse wurden bereits veröffentlicht, weitere werden in den kommenden Wochen und Monaten erwartet.
Das Post-COVID-Syndrom (PCS) ist aufgrund seiner vielschichtigen Symptomatik nur schwer präzise zu diagnostizieren und zu behandeln und wird in der wissenschaftlichen Gemeinschaft noch immer intensiv diskutiert. “In NAPKON arbeiten Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus über 30 Fachrichtungen bundesweit daran, PCS in seinem Entstehen zu verstehen und Diagnosemethoden und Behandlungsmöglichkeiten zu erarbeiten”, sagt Univ.-Prof. Janne Vehreschild, Sprecher von NAPKON und Infektiologe an den Universitätskliniken Frankfurt und Köln.
Die in NAPKON gesammelten Daten und Bioproben können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre Forschung nutzen. Es wurden bereits mehr als 100 Forschungsprojekte zu Post-COVID bewilligt: Interessierte können sich unter Forschungsprojekte – NAPKON informieren. Eines der Forschungsergebnisse, das bereits in die Praxis Einzug hält, ist der sogenannte PCS-Score. Dieser ermöglicht es Ärzten, anhand einer Punkteskala den Schweregrad des PCS objektiv nach einem Schema zu erfassen. Dabei werden die unterschiedlichen Symptome erfasst, bewertet und zu einem Gesamtergebnis zusammengezählt. Entwickelt wurde der Score vom NAPKON-Team um Prof. Thomas Bahmer (Universitätsklinikum Schleswig-Holstein). „Mit dem PCS-Score haben wir sowohl für die wissenschaftliche Gemeinschaft, als auch für die Ärztinnen und Ärzte in der täglichen Praxis ein Fragebogeninstrument entwickelt, anhand dessen das PCS in seiner ganzen Komplexität abgebildet und in seinem zeitlichen Verlauf beurteilt werden kann“, sagt Prof. Thomas Bahmer, Erstautor der Studie.
„Es ist unbedingt notwendig, das Thema Post-COVID interdisziplinär zu verstehen. Das ist auch der große Vorteil von NAPKON, weil hier fach- und standortübergreifend zusammengearbeitet wird“, sagt Dr. Christina Lemhöfer, Sprecherin der Fach- und Organspezifischen Arbeitsgruppe (FOSA) “Physikalische und Rehabilitative Medizin”. In NAPKON wurde unter Lemhöfers Federführung eine Arbeitsgemeinschaft eingerichtet, die die Anwendung aktueller Definitionen der Erkrankung und der Diagnosekriterien der langfristigen Folgen einer COVID-19 Infektion ermittelt. Das Ziel ist es, diese zu strukturieren, um eine Abbildung im Datensatz zu ermöglichen. Dabei spielen sowohl die WHO-Definition, als auch der in der Populationsbasierten Plattform (POP) von NAPKON entwickelte diagnostische PCS-Score eine Rolle. Außerdem werden mit Experten der Rehabilitationsmedizin weitere Diagnosekriterien in ihrer Wirksamkeit geprüft. Funktionale Tests können häufig die Diagnostik von Leistungseinschränkungen erleichtern.
Weitere Ergebnisse zum PCS werden in den kommenden Wochen und Monaten erwartet. Um die Langzeitfolgen des PCS erfassen zu können, werden die Patienten bis zu drei Jahre nach Infektion beobachtet. Große Hoffnungen steckt das Team in eine Reihe modernster Untersuchungsmethoden, mit denen die im Projekt gewonnen Bioproben zurzeit untersucht werden. Dabei werden die Auswirkungen von COVID-19 auf den Stoffwechsel und das Immunsystem genauestens untersucht. „Wenn diese Untersuchungen abgeschlossen sind, haben wir einen weltweit einmalig genauen Datensatz zu den Auswirkungen von COVID-19 auf den Menschen. Wir haben große Hoffnung, damit noch das ein oder andere Rätsel lösen und damit den Betroffenen in Zukunft besser helfen zu können“, sagt Vehreschild.
NAPKON ist ein Forschungsprojekt innerhalb des Netzwerk Universitätsmedizin (NUM). Im NUM führen erstmalig alle 36 deutschen Universitätsklinika gemeinsam große interdisziplinäre Forschungsprojekte durch. Gestartet ist das Netzwerk im Jahr 2020, um die COVID-19-Forschung aller Universitätsklinika zu koordinieren. Perspektivisch wird das NUM weitere Erkrankungen erforschen und möglichst viele Partner aus der medizinischen Wissenschaft, dem Gesundheitswesen und der Gesellschaft einbinden. Im NUM geht es insbesondere um kliniknahe Forschung, deren Ergebnisse unmittelbar die Versorgung der Patienten unterstützen. Ein Schwerpunkt liegt auf der gemeinsamen Erhebung und Nutzung komplexer medizinischer Forschungsdaten. Dafür hat das Netzwerk Forschungsinfrastrukturen aufgebaut, mit denen es dazu beiträgt, das deutsche Gesundheitssystem auf zukünftige Pandemien und Krisen besser vorzubereiten. Das NUM wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.