Verletzungs- oder krankheitsbedingte Nervenschädigungen führen häufig zu dauerhaften Störungen der Motorik, Sensibilität oder chronischen Schmerzen. Für betroffene Patienten hat dies schwerwiegende Beeinträchtigungen der Lebensqualität sowohl in privater als auch in beruflicher Hinsicht zur Folge. Fast acht Prozent der über 55-Jährigen in Deutschland und Europa sind von sogenannten peripheren Neuropathien betroffen. Ein Kölner Forschungsteam des Zentrums für Pharmakologie stellt nun eine Studie vor, in welcher ein möglicher Wirkstoff zur Nervenregeration untersucht wurde.
Nervenfasern (Axone) leiten Signale vom Gehirn und Rückenmark über Nerven zu den Zielorganen wie Muskeln oder Haut und umgekehrt. Deren Schädigung führt daher zu einer Verbindungsunterbrechung und als Konsequenz zu Lähmungen oder Taubheit. Die Erfolgschancen für eine Genesung hängen vor allem von der Geschwindigkeit ab, mit der die gekappten Fasern nachwachsen. Diese ist zeitlich limitiert, sodass letztlich nur kurze Strecken überwunden werden können. Bei Nervenverletzungen in Beinen und Armen bleiben daher oft dauerhaft Schäden zurück, die später auch von neuropathischen Schmerzen begleitet sind. Ein wesentliches Ziel der Forschung ist daher die Entwicklung von Therapien zur Beschleunigung des Nervenfaserwachstums. Diese gibt es aber bis heute, trotz intensiver weltweiter Forschung, noch nicht.
Diesem Ziel könnten nun das Kölner Forscherteam um Dr. Philipp Gobrecht und Univ.-Prof. Dr. Dietmar Fischer, Direktor des Zentrums für Pharmakologie der Uniklinik Köln, nähergekommen sein. In einer neu veröffentlichten Studie im Journal of Neuroscience untersuchten sie Proteine, sogenannte Vasohibine, die den Zustand des Skelets der axonalen Wachstumsspitzen (Mikrotubuli) beeinflussen. Sie stellten fest, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli zwischen erwachsenen Tieren und neugeborenen unterscheidet. Dies ist daher von Relevanz, da das axonale Wachstum bei Neugeborenen durch optimal tyrosinierte Mikrotubuli fast doppelt so hoch ist wie bei Erwachsenen. Mithilfe eines definierten Inhaltsstoffes aus dem Mutterkraut (Tanacetum Parthenium) wurden die Vasohibine so stark gehemmt, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli bei Nervenzellen von adulten Tieren dem von neugeborenen Tieren annäherte. Dies führte bei adulten Nervenzellen zu einer deutlichen Beschleunigung der axonalen Regeneration. Bemerkenswert ist, dass die Forscher auch im lebenden Tier zeigen konnten, dass Parthenolid nach täglicher intravenöser Gabe den Heilungsprozess von geschädigten Nerven deutlich beschleunigt, sodass die Tiere nach einer Behandlung deutlich früher wieder ihre Zehen bewegen und Reize spüren konnten. Eine modifizierte Form von Parthenolid, die auch oral verabreicht werden kann, zeigte hierbei ähnliche Effekte.
„Versuche an menschlichen Nervenzellen haben bereits eine regenerationsfördernde Wirkung gezeigt. Bis der Wirkstoff allergindings in der Theaphie Verwendung finden kann, sind noch weitere Untersuchungen in klinischen Studien notwendig", sagt Prof. Fischer.
Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Fördernummer: 03VP05200
Originalpublikation:
Journal of Neuroscience 1 March 2024, e2031232024; DOI: https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.2031-23.2024