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11.03.2020 Coronavirus

»Nur so verhindern wir, dass viele an Corona sterben werden«

Interview des Kölner-Stadtanzeigers mit dem Infektiologen Prof. Fätkenheuer

Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Foto: Klaus Schmidt
Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Foto: Klaus Schmidt

Univ.-Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Klinischen Infektiologie in der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln, spricht im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger unter anderem über den einzig wirksamen Hebel gegen die schnelle Ausbreitung von Corona in Köln.

Professor Fätkenheuer, wie hat sich die Situation aus Ihrer Sicht seit dem Wochenende verändert?

Die Lage nimmt deutlich an Ernsthaftigkeit zu. Wir haben nicht nur immer mehr Infizierte. Wir haben vor allem immer mehr Infizierte, die kein benennbares Risiko haben. Das heißt, sie waren nicht unmittelbar mit einer infizierten Person in Kontakt und sie kamen nicht aus den Risikogebieten Südtirol oder Italien im Urlaub. Darum müssen wir jetzt noch entschiedener Gegenmaßnahmen ergreifen.

Warum ist es jetzt so wichtig, Veranstaltungen im großen Stil abzusagen und das öffentliche Leben damit stark einzuschränken?

Da wir ja keine Therapiemöglichkeiten oder Schutzmaßnahmen wie Impfungen haben, ist das unser einziger Hebel. Diese sozialen Maßnahmen werden darüber entscheiden, wie schnell sich das Virus ausbreitet oder ob es uns gelingt, die Geschwindigkeit der Verbreitung zu senken. Schnelligkeit ist jetzt entscheidend. Sonst passiert es wie in Italien, wo viele Menschen schwer krank sind und es viele Tote gibt. Wir müssen unbedingt verhindern, dass das Gesundheitssystem durch zu viele Fälle in zu schneller Zeit überlastet wird und kollabiert. Nur so verhindern wir, dass viele Erkrankte sterben werden.

Zunächst war die willkürliche Grenze Großveranstaltungen ab 1000 Personen. Mit der lit.Cologne wurden jetzt auch erstmals kleinere Veranstaltungen abgesagt. Steht das für Sie als Mediziner im Verhältnis?

Die 1000 Personen waren ja nur eine willkürlich gesetzte Größe. Im Grunde gilt das aber auch für kleinere Veranstaltungen: Je mehr Menschen sich versammeln, desto schneller kann das Virus sich ausbreiten. Konzerte, Lesungen, Großveranstaltungen sind der ideale Nährboden. Wenn wir die nicht absagen, wird die Ausbreitungsgeschwindigkeit nicht zu drosseln sein.

Jetzt versammeln sich die Fußballfans, die Mittwoch nicht zum Derby ins Stadion können, in den Kneipen zum Rudelsehen. Da sind dann vielleicht in Summe weniger Menschen. Aber sie stehen viel enger aufeinander. Da ist wenig gewonnen...

Man kann das natürlich niemandem verbieten. Aber ich appelliere an jeden einzelnen, sich das auch bei kleinen Versammlungen genau zu überlegen. Man sollte möglichst wenig in die Disko oder Kneipe gehen, um sich nicht unbemerkt anzustecken. Es ist eine Frage des Verantwortungsbewusstseins – gerade auch bei denen, die jung und selbst nicht besonders gefährdet sind. Gefährdet sind vor allem Vorerkrankte und Menschen ab 65 Jahren. Man macht das im Grunde für seine Eltern, weil man auch ohne Symptome das Virus an schwächere Personen weiterverbreiten kann. Es ist also eine Frage der sozialen Verantwortung, andere zu schützen. Jetzt ist der Moment, solidarisch zu sein mit den Schwächeren – und zwar für alle. Jede Übertragung, die wir als Stadt verhindern, ist ein Gewinn.

Jetzt steht zu befürchten, dass diese Ausnahmesituation lange andauern wird, da neuesten Studien zufolge dieses Virus nicht unter Einfluss des Frühlings abschwächen wird. Wie soll man diese Einschränkungen aufrechterhalten?

Zunächst muss man sagen, dass es sich hier um eine Modellberechnung handelt, von der wir wirklich noch nicht sagen können, ob sie zutrifft. Wenn man solche Einschränkungen wirklich lange aufrechterhalten muss, wird das natürlich schwierig. Aber wir sollten uns zunächst auf den Moment konzentrieren und dann von Zeitraum zu Zeitraum immer neu überlegen. Jetzt steht ganz im Vordergrund, dass wir die Ausbreitung rasch abgebremst bekommen. Die Bevölkerung sollte verstehen, dass dies eine dynamische, neuartige Situation ist, der wir uns immer neu nähern müssen. Da gibt es keine feststehenden Wahrheiten: Was ich heute für richtig halte, gilt vielleicht morgen nicht mehr, weil sich eben die Situation schon wieder gewandelt hat.

Was ist jetzt, abgesehen von den Veranstaltungsabsagen, ganz wichtig?

Als nächstes ist wichtig, neben den Krankenhäusern vor allem auch die Kölner Pflege- und Altenheime zu schützen. Auch hier sollte es schnell und dringend Beschränkungen etwa bei den Besuchsregelungen geben: maximal ein bis zwei Besucher pro Patient und Tag, kein Besuch von erkrankten Personen. Dies ist auch notwendig, um das Personal zu schützen. Wenn reihenweise Beschäftigte ausfallen, ist die gesamte Krankenversorgung massiv gefährdet. Es ist also ganz entscheidend, dass wir in den Krankenhäusern als auch in Altenheimen die Funktionalität aufrechterhalten, sonst geht es uns wie den Italienern und es sterben viele Menschen.

Wäre es nicht wichtig, Personal mit Risikokontakten sowohl in Krankenhäusern als auch in Pflegeheimen täglich zu testen, um sicherzustellen, dass Krankheitsfälle frühzeitig entdeckt werden und trotzdem die Arbeitsfähigkeit nicht durch zu viele Quarantänemaßnahmen gefährdet ist?

Das machen wir ja derzeit schon in der Uniklinik als Pilotprojekt, um mit möglichst viel Personal arbeitsfähig zu bleiben. Aber bei einem weiteren Zuwachs an Infizierten wird das nicht mehr möglich sein. Und das ist auch nicht auf alle Krankenhäuser oder gar Pflegeheime übertragbar. Es ist ein Pilotprojekt, wo wir erst einmal schauen müssen, wie gut das umsetzbar ist und wie gut es funktioniert.

Wenn ich meine Eltern schützen will. Würden Sie jetzt schon so weit gehen wie Ihr Berliner Kollege, der Virologe Christian Drosten, dass Kinder nicht mehr zu Opa und Oma gebracht werden sollten?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Ich würde aber da, wo es geht, dafür sorgen, dass die betagten Eltern jetzt nicht mit Bus oder U-Bahn zum Einkauf fahren, sondern zu Fuß gehen. Falls das nicht möglich ist, würde ich ihnen da, wo es geht, Besorgungen abnehmen.

Was viele nicht verstehen ist, warum es so schwer ist sich testen zu lassen. Auch Menschen, die angeben, in einer Kneipe gefeiert zu haben, in der sich im Nachhinein ein Corona-Fall herausstellt, bekommen nicht mehr einfach einen Test.

Es ist derzeit vor allem eine Frage der Kapazitäten. Die Labors in Köln, die die Tests auswerten, arbeiten, das können Sie mir glauben, buchstäblich bis zum Umfallen. Das reicht, um es so zu machen, wie wir es jetzt machen. Und das ist in der derzeitigen Situation mit einer niedrigen Infektionsrate in der Bevölkerung auch noch angemessen. Aber es ist aktuell nicht möglich, bei jedem, der jetzt in Sorge ist, einen Test zu machen. Es ist vielleicht schwer, das zu vermitteln. Es wird aber alles dafür getan, dass die Kapazitäten erweitert werden, damit wir viel mehr Personen testen können.

Was halten Sie davon, Kitas und Schulen stadtweit zu schließen. Würde das helfen?

Ich halte das zur Zeit nicht für zielführend. Wir wissen inzwischen, dass Kinder sich zwar infizieren, aber nicht Hauptüberträger sind und dass sie auch selbst nicht gefährdet sind, schwer krank zu werden. Natürlich gibt es derzeit vereinzelt Infizierte. Aber wenn sie alle Schulen und Kitas schließen würden, hätte das viele negative Folgen: Die Kinder würden ja nicht alleine zu Hause sitzen. Sie würden sich zusammentun und treffen und die versorgenden Eltern hätten ebenfalls ein Problem. Vielleicht können sie ihren systemrelevanten Berufen – etwa als Ärzte oder Pfleger –  nicht mehr nachgehen. Da stehen Nutzen und Risiken nicht in einem guten Verhältnis.

Gibt es auch etwas Positives, das Sie hoffnungsvoll stimmt?

Ich habe die Hoffnung, dass es sich auszahlt, dass Deutschland früh angefangen hat zu testen und es dadurch eben nicht so kommt wie in Italien. Außerdem funktioniert hier in Köln das Zusammenspiel zwischen Krankenhäusern, Ärzten und dem Gesundheitsamt sehr gut. Die Dinge, die als richtig und wichtig erkannt werden, werden sehr schnell umgesetzt. Ich denke, wir sind gut vorbereitet, aber noch haben wir natürlich auch keine wirklich ernste Lage.

Was ist Ihr Appell als Mediziner an die Kölner?

Wir stehen in einer ganz und gar außergewöhnlichen Situation mit Gefahren und Risiken bisher unbekannter Art. Damit wir das als Gesellschaft meistern, braucht es die Solidarität der weniger Gefährdeten mit den Gefährdeten auf allen Ebenen. Wenn wir das als Gesellschaft meistern wollen, dürfen wir nicht nur ans eigene Wohl denken. Das heißt auch, nicht einfach egoistisch Regale leer kaufen oder Desinfektionsmittel klauen.  Es ist eine Kulturleistung, die uns da jetzt als Gesellschaft abverlangt wird. Je rationaler und verantwortungsvoller wir damit umgehen, desto besser werden wir da rauskommen.

Die Fragen stellte Alexandra Ringendahl vom Kölner Stadt-Anzeiger.

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